Rosenfeld
Steht die Biegebranche vor einer Zeitenwende?
Herr Sülzle, einleitend ein paar Worte zur aktuellen Lage am Stahlmarkt?
Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind die Energie- und Rohstoffmärkte explodiert. Die Preise für Betonstahl, Lagermatten und Walzdraht sind um über 500 € pro Tonne gestiegen. Das sind mehr als 60 Prozent. Gleichzeitig ist die Versorgung massiv gestört. Eine derartige Situation ist einmalig und stellt uns vor enorme Herausforderungen.
Das Wort Disruption kursiert durch viele Branchen. Erlebt die Stahlwelt nun eine Zeitenwende?
Definitiv erleben wir im Augenblick eine Zeitenwende. Viele klassische Geschäftsmodelle sind in den vergangenen Jahren durch revolutionäre Veränderungen ersetzt worden. Denken Sie an den Einzelhandel und die Onlineshops wie Amazon und Co. oder die Hotelbranche und Airbnb’s. Auch Bücher- und Musikläden, die schon längst durch Spotify und Audible abgelöst wurden.
Was hat dies mit der Biegebranche zu tun?
Auch die Biegebranche durchlebt eine Veränderung ihres traditionellen Geschäftsmodells, welches jedoch noch nicht auf einer digitalen Plattform stattfindet. In der Vergangenheit bewegten sich die Einkaufspreise für Betonstahl zwar teilweise sehr schwankend, jedoch in einem über viele Jahre festen Korridor, so dass man mit etwas mehr oder weniger Geschick und Glück in der Lage war, trotz geringer Margen sein Geschäft positiv zu gestalten. Über die letzten 20 Jahre bewegte sich der Preis für Betonstahl in 90 Prozent der Zeit auf einem Niveau von unter 600 € pro Tonne. Heute bezahlen wir mehr als das Doppelte.
Was ist der Auslöser für eine Zeitenwende?
Als Ende 2020 die Preise begannen zu steigen, war unsere Branche der Meinung, dass – wie in der Vergangenheit – nach den starken Anstiegen ein Absturz der Preise erfolgen würde. Nachdem sich die Hoffnung von Quartal zu Quartal nicht erfüllt hat, muss sich die Branche nun ernsthaft Gedanken machen, ob die Spielregeln der Vergangenheit in der Zukunft noch Gültigkeit haben. Im Nachhinein stellen wir fest, dass die Corona-Pandemie gepaart mit den Herausforderungen des Klimawandels eine Zeitenwende eingeläutet haben, die nun durch den Krieg in der Ukraine alles bisher Dagewesene verändert hat.
Und plötzlich funktionieren die alten Spielregeln nicht mehr?
Vieles spricht genau dafür. Die Stahlindustrie steht selbst vor enormen Herausforderungen. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes wird exorbitante Investitionen benötigen, was sich in deutlich höheren Produktionskosten niederschlagen wird. Die Rohstoffe, welche zur Stahlerzeugung benötigt werden, sind ebenfalls begrenzt und preislich enorm gestiegen. Ebenso sind die Energiekosten, egal ob Gas, Kohle oder Strom, explodiert. Fachkräftemangel und Logistikkosten sowie Transportkapazitäten runden das Gesamtbild ab.
Und lassen bei einer kritischen Betrachtung nur den Schluss zu, dass die Ansätze der Vergangenheit für die Zukunft nicht mehr gelten?
Genau. Deshalb haben wir mit einem Kundenschreiben Ende Januar 2022 über unsere Sicht der Dinge und die Veränderungen informiert.
Warum hat dieses Schreiben für große Aufmerksamkeit im Markt gesorgt?
Das ist eine gute Frage. Wir waren selbst überrascht, in welcher Weise unser Schreiben im Markt verteilt und diskutiert wurde. Wahrscheinlich haben wir Dinge angesprochen, welche man sich bisher nicht getraut hat, offen zu kommunizieren. Unser Anliegen war es jedoch, eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Die Ereignisse der letzten Wochen bestätigen unsere Aussagen.
Welche Auswirkungen haben die Preissteigerungen für die bestehenden Aufträge?
Das ist im Augenblick unsere größte Herausforderung. Gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern müssen wir in dieser schwierigen Zeit nach Lösungen suchen. Die Ereignisse und die Folgen des Krieges waren für niemanden vorhersehbar und somit wurden den bestehenden Aufträgen die Grundlage entzogen, so dass es nicht mehr zumutbar ist, diese ohne Anpassungen fortzuführen. Wir haben uns sehr genau überlegt, ob und wie wir an unsere Kunden herantreten. Letztendlich haben wir uns für einen offenen und ehrlichen Dialog entschieden, wohlwissend welche Reaktionen dies auslösen wird. Aus unserer Sicht war dies jedoch alternativlos.
Das SÜLZLE-Team steht für einen transparenten partnerschaftlichen Austausch zur Verfügung.